Unsere Expertin Elisabeth Krista schreibt über Geschwisterstreit: Wenn Zwillinge häufig miteinander streiten und teilt wertvolle Tipps und Tricks für Eltern:
Alle, die Eltern sind, können die Erfahrung bestätigen, dass die Kinder manchmal wie eine geschlossene Einheit auftreten, gegen die man keine Chance zu haben scheint. Und manchmal arbeiten sie gegeneinander und man möchte wieder, dass sie einheitlich agieren. Ziemliche Gegensätze, oder?
Geschwister einer Familie haben eine besondere Position. Sie bilden eine Gruppe, die sich von den Eltern abgrenzt oder sogar gegen sie arbeitet. Mehrere Kinder sind also immer von Natur aus eine Interessensgruppe. Das kannst du gut beobachten, wenn Geschwister gemeinsam versuchen, einen Wunsch von den Eltern erfüllt zu bekommen. Wenn man dann genauer hinsieht, gibt es ein Kind, das diesen Wunsch hegt und weitere, die den Wunsch unterstützen, weil ihnen das irgendeinen Vorteil bringt. Im Grunde ist also auch die scheinbare Zusammenarbeit ein Symptom von Konkurrenz. Es dient letztlich nicht dem Wohl der Familie oder trägt zur Gemeinschaft bei. Es handelt sich um egoistische Motive. Wir können also beide Modelle als nicht hilfreich verabschieden. Es gibt aber eine andere Perspektive.
Langfristige Erziehungsziele
Welche Ziele willst du mit der Erziehung von Kindern erreichen? Soziale Kompetenz, Problemlösefähigkeit, Beziehungsfähigkeit und so weiter. Sie erlernen diese Fähigkeiten am besten, indem sie soziale Situationen meistern, Probleme lösen oder Beziehungen führen können. Geschwister haben die wunderbare Gelegenheit, diese Kompetenzen miteinander zu erproben. Das einzige Hindernis sind dabei oft die eigenen Eltern.
Moritz und Katja streiten sich regelmäßig wer das Lego benutzen darf. Fast täglich gibt es darüber lautes Geschrei. Der Vater ist davon schon genervt. Er hat alles versucht. Er hat einen Zeitplan aufgestellt – dann wurde über den Zeitplan gestritten. Er hat das Lego aufgeteilt – dann wurde die Aufteilung als unfair betrachtet. Er hat jeweils einem Kind das Lego verboten, weil es „damit angefangen“ hat. Das führte zu langen Wut- und Heulkrämpfen. Der engagierte Vater investierte viel Zeit und Aufmerksamkeit und versuchte die Situation zu lösen. Für die Kinder.
Unangemessene Aufmerksamkeit
Eine Strategie aus der positiven Disziplin heißt: „Setze die Kinder in dasselbe Boot.“ Im Grunde könnten die beiden, Moritz und Katja sehr gut gemeinsam mit dem Lego spielen. Sie bekommen aber etwas viel Besseres, wenn sie stattdessen gegeneinander arbeiten: Viel ungeteilte Aufmerksamkeit des Vaters. Ohne es zu wollen fördert der engagierte Papa bei den beiden Geschwistern antisoziales Verhalten. Er gibt ihnen nicht die Möglichkeit, selbst einen Weg für friedliches Zusammenspiel zu finden oder die Wichtigkeit dessen zu erkennen. Er priorisiert das Problem und rückt es ins Zentrum der Aufmerksamkeit aller.
Wie kann der Vater die beiden in dasselbe Boot setzen? Er könnte mit ihnen besprechen, dass das Spielzeug für alle wegkommt, bis sie miteinander friedlich spielen können. Statt eine schuldige Person ausfindig machen zu wollen übergibt er die Verantwortung für die Problemlösung den Kindern. Die unangemessene Aufmerksamkeit, die eine lange Diskussion mit sich bringen würde, fällt also weg. Die Kinder haben keinen Grund mehr, die Spielsituation zu stören.
Geschwisterrivalität
Stell dir vor du entdeckst, dass ein Kind dem Geschwister in ein Schulheft gemalt hat. Die schuldige Person ist klar. Unsere Gesellschaft lehrt uns, schuldigen Personen der vermeintlich gerechten Strafe zuzuführen. Es gibt ein „gutes“ und ein „schuldiges“ Kind. Was Eltern dabei leicht übersehen: Beide Kinder profitieren von dieser Aufteilung. Die „guten“ Kinder können sich abgrenzen, besserstellen und erhöhen. So treten sie in Konkurrenz mit dem „schuldigen“ Kind. Das Kind, das etwas ausgefressen hat bekommt eine Menge ungebührlicher Aufmerksamkeit: eine Standpauke, vielleicht sogar eine Strafe. Auf diese Art fördert man keinen Zusammenhalt zwischen den Kindern. Ihre sozialen Kompetenzen werden nicht gestärkt, wenn wir eine vermeintliche Gerechtigkeit herbeiführen. Wir fördern damit die Geschwisterrivalität.
Wenn alle Kinder in dasselbe Boot gesetzt werden, müssen die beiden gemeinsam eine Lösung für das Problem finden. Denkbar wäre, dass beide zu gleichen Teilen ein neues Heft bezahlen müssen. Dass die Schmiererei gemeinsam beseitigt wird, sofern das möglich ist. Wichtig ist, die Lösung kommt nicht von dir als erwachsener Person, sondern von beiden (allen) Kindern. Wenn keine Vorschläge von den Kindern kommen können, weil sie zu jung sind oder das Problem zu komplex, gib allen dieselben Auswahlmöglichkeiten. Das wird zunächst Murren auslösen: Die Kinder werden diesen neuen Ansatz erstmal ungerecht finden.
Sie werden sich jedoch fügen. Das Kind, das Aufmerksamkeit erregen wollte, indem es unsozial handelt, hat sein Ziel nicht erreicht: Schimpfen und Diskutieren blieben aus. Die anderen Kinder, die kein störendes Verhalten gezeigt hatten, bekamen hingegen ebenfalls Aufmerksamkeit. Damit fiel die Sonderstellung als „Störenfried“ also weg. Bitte bedenke: Alle Kinder, auch die unbeteiligten, werden in ein Boot gesetzt, auch wenn das gegen dein Gerechtigkeitsempfinden verstößt.
Lösungsmöglichkeiten für den Geschwisterstreit
Eine sehr hilfreiche Formulierung in Streitsituationen ist: „Ich glaube an euch und traue euch zu, dass ihr eine Lösung findet.“ Man kann auch Methoden zu Hilfe nehmen und vorschlagen: „Ich bin sicher, ihr könnt mit Hilfe des Entscheidungsrades eine Lösung finden.“ „Wenn ihr Lösungsvorschläge gefunden habt, könnt ihr zu mir kommen, um es zu besprechen.“
Ein Entscheidungsrad ist ein Tool, auf dem verschiedene Lösungsmöglichkeiten für Konflikte aufgemalt sind. Am besten, ihr habt es gemeinsam erarbeitet und verwendet es regelmäßig, um Probleme zu lösen. Ideen können sein: teilen, weg gehen, beim Familienrat besprechen, sich entschuldigen, etwas anderes machen und viele mehr! Kinder sind sehr kreativ darin, Lösungen zu finden. Wenn ihr euch einmal darauf geeinigt habt, welche respektvollen Problemlösungen ihr in der Familie kultiviert, ist die Akzeptanz dafür bei allen groß.
So oft es irgendwie geht, halte dich aus dem Streit, den Kinder untereinander haben, raus. Schon dadurch wird sich der Geschwisterstreit reduzieren. Deine Verantwortung ist es jedoch, Umgang mit Konflikten vorzuleben und Lösungsmöglichkeiten vorzuschlagen. Kinder müssen diese erst erlernen, und du kannst sie dabei ermutigen und unterstützen. Bald wirst du stolz und erstaunt beobachten, wie deine Kinder regelrechte Lösungsprofis werden.
Die Autorin
Elisabeth Krista arbeitet seit über 20 Jahren für Kinder und die Beziehungen, die sie prägen.Sie wurde in Österreich als Kindergartenpädagogin, Früherzieherin und Psychologin ausgebildet. In Österreich, Mexiko und Deutschland arbeitete sie in Krippen, Kitas und der freien Jugendhilfe. Jetzt fokussiert sie sich darauf, Erwachsenen zu helfen, die Beziehungen zu den Kindern in ihrem Leben zu verbessern.
Website und Blog: elisabethkrista.com
Youtube-Kanal: Elisabeth Krista
Hier ein Beispiel für ein Entscheidungsrad designed von Es sind 2, welches Du als Druckdatei zum Basteln herunterlanden kannst:
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