Heute entführen wir Dich mit unserem Rückblick in die 80iger Jahre. Marion von Gratkowski, Zwillingsmama und Journalistin, hat jahrelang das Magazin ZWILLINGE verlegt, zahlreiche Bücher rund um Zwillinge geschrieben und verlegt und damit Informationsmöglichkeiten für Zwillingseltern geschaffen. Wir freuen uns sehr, sie im Rahmen eines Interviews, zu den Veränderungen im Bezug auf das Leben mit Zwillingen in mehr als 30 Jahren, befragen zu dürfen und wünschen Dir viel Freude beim Lesen.

Liebe Marion,

deine Zwillinge wurden 1984 geboren, seit dem hat sich sicherlich viel verändert. Zudem hast Du über 30 Jahre lang mit Zwillinge – Das Magazin und in Deinen Büchern tausende Erfahrungsberichte über Zwillinge veröffentlicht und die Entwicklung verfolgt. Spannend wäre für uns und die Leser*innen zu wissen, was sich in Deinen Augen in den letzten 30 Jahren im Hinblick auf Zwillingsfragen gewandelt hat.

Hattest Du eine Ahnung, dass in Dir zwei Babys aufwachsen oder war dies eine Überraschung?

Die ersten vier Monate hatte ich keine Ahnung. Erst beim vierten Ultraschall sah man deutlich zwei Babys. Die Ultraschalltechnik steckte noch in der Kinderschuhen und mein Arzt war begeistert davon. Deshalb machte er jedes Mal einen Ultraschall. Und er fragte so komisch, ob in meiner Familie Zwillinge vorkämen. Ich bezog es nicht auf mich und wäre vor Lachen dann bald vom gynäkologischen Stuhl gefallen.

Wurdest Du durch eine Hebamme betreut? Wie sah zum damaligen Zeitpunkt die Vorsorge bei Schwangeren aus?

Eine Betreuung durch Hebammen gab es damals nicht. Ich habe einen Geburtsvorbereitungskurs bei „meiner“ Hebamme gemacht. Da die Zwillinge dann 7 Wochen zu früh kamen, konnte ich nicht bei ihr im Starnberger Krankenhaus entbinden, sondern musste in das medizintechnisch besser ausgerüstete Klinikum Großhadern in München.

War der Vater bei der Geburt anwesend? Falls nein, wann durfte er die Zwillinge das erste Mal sehen?

Damals schon war es üblich, dass Väter bei der Geburt dabei waren. Mein Mann war die ganze Zeit bei mir und wurde erst rausgeschickt, als ich eine Vollnarkose bekommen musste, weil sich die Plazenta nicht richtig löste.

Wie waren die damaligen Empfehlungen rund um die Geburt von Zwillingen (Kaiserschnitt, natürliche Geburt)? Und auf welchem Wege und in welcher Schwangerschaftswoche wurden Deine Zwillinge geboren?

Es gab keinerlei Empfehlungen. Wir gingen von einer „normalen“ Geburt aus. Maximilian und Constantin wurden Ende der 33. Schwangerschaftswoche vaginal entbunden. Maximilian als erster Kopf voran. Constantin drehte sich leider nicht mehr und wurde dann an den Füßen rausgezogen. Eine ziemlich befremdliche Situation – der Arzt bis zum Anschlag in mir drin, um die kleinen Füßchen zu packen …

Wie sah es mit der Babyernährung aus? Wurde das Stillen oder eher die Säuglingsnahrung gefördert? Wie hast Du Deine Zwillinge ernährt?

Stillen wurde propagiert, aber nicht sonderlich gefördert. Sobald es ging, bekam ich die beiden schon in der Klinik angelegt. Eine elektrische Milchpumpe hatte meine Zimmerkollegin (Geburt ihrer Tochter in der 28. Woche) gegen Bestechung = 1 Flasche Sekt besorgt.

War das Thema Beikost ebenfalls so ein Thema wie heute (Brei, Breifrei, Baby Led Weaning? Erzähl doch einmal, wie und mit was Du Deine Zwillinge gefüttert hast.

Das Thema Beikost war auch damals insofern schon ein Thema, weil ich ja mit den Zwillingen tagsüber allein war. Es fiel mir schwer, den beiden gleichzeitig beizubringen, vom Löffel zu essen. Ich machte also mit einem scharfen Messer einen großen Schlitz in einige Flaschensauger und fütterte Brei, meist selbst und auf Vorrat gekocht, mit der Flasche. Das ging schneller und anschließend legte ich die beiden, die während der Prozedur schon eingeschlafen waren, zum Mittagsschlaf hin. Meine Schwiegermutter fragte einen fremden Kinderarzt, ob dies „normal“ sei.

Ich tröstete mich damit, dass noch kein 18jähriger seine Pizza aus einem Fläschchen geschlürft hätte.

Hattest Du einen speziellen Zwillingskinderwagen? Hast Du beide oder einen der Zwillinge getragen? Wie warst Du mit den Jungs unterwegs?

Wir haben uns second-hand einen Zwillingswagen mit einer großen Wanne (mit dem damals gängigen Kordbezug) besorgt. Der war nur 72 Zentimeter breit, also recht praktisch, um überall durchzukommen. Später hatten wir einen Sportwagen, sehr schwer, breit und unhandlich, den wir kaum benutzt haben. Viel in Benutzung war ein einfacher Regenschirmbuggy. Ich war täglich zwei bis drei Stunden an der Isar unterwegs. Meist wartete ich, bis mein Mann da war, dann war es einfacher die vier Stockwerke (ohne Fahrtstuhl) zu bewältigen.

Wenn wir zu zweit waren, haben wir die Zwillinge auch gern in einer Stofftrage getragen. Das war vor allem im Winter hilfreich, wenn auch in München die Gehwege nicht geräumt waren oder eben nur eine Kinderwagenbreite breit.

Als die Zwillinge 1,5 Jahre alt waren, kam das Fahrrad mit zwei Sitzen (einer vorn, einer hinten) viel zum Einsatz. Bei bestem Biergartenwetter an der Isar entlang – was gibt es Schöneres?

Womit wurden die Zwillinge gewickelt?

Die Zwillinge wurden tagsüber mit Billigwindeln gewickelt, nachts nur mit Pampers, weil wir dann hoffen konnten, dass sie nachts nicht gewickelt werden mussten. Meinen sechs Jahre später geborenen „Einling“ Nicolai habe ich zum großen Teil mit einem Stoffwindelsystem gewickelt.

Wie sah Eure Schlafsituation aus? Haben die Zwillinge gemeinsam oder getrennt geschlafen?

Die Zwillinge schliefen im eigenen Zimmer in getrennten Bettchen. Nach einem – völlig unnötigen – Krankenhausaufenthalt im Alter von 1,5 Jahren (nur 1 Nacht) war unser Max so traumatisiert, dass er nur noch völlig erschöpft in meinen Armen einschlief. Fortan schlief er zwischen uns, dann wollte auch Constantin ins Familienbett. Also demontierten wir unser Bett und legten von Wand zu Wand drei Matratzen aus. Und so schliefen wir dann das ganz nächste Jahr: Constantin, Vater, Maximilian, Mutter. Und im Regal standen 5 kleine Teefläschchen voll gefüllt mit einem Apfelsaft(wenig)-Wassergemisch, das ich wie in Trance greifen und Max in den Mund stopfen konnte, wenn er Bedarf hatte. Das hielt natürlich keine Windel mehr und wir wachten recht regelmäßig in einem „Wasserbett“ auf.

Als die Zwillinge fast 3 waren, zogen wir ums aufs Land (an den Ammersee), da wir in München keine Wohnung gefunden hatten. Wir sagten: „Große Kinder schlafen in großen Betten“ und stellten die Betten aus meiner Kindheit auf. Eine Stockbett, dessen Betten man auch einzeln stellen konnte.

Die beiden kamen trotzdem jede Nacht zu uns, besser gesagt zu mir. Erst am Tag, nachdem ich mit Nummer 3 aus der Klinik kam, blieben Max und Conny in ihren eigenen Betten. Als ich sie ansprach, (weil ich dachte, sie fühlten sich vielleicht durch das neue Baby „vertrieben“), sagten sie, sie hätten gedacht ich wolle sie jede Nacht in meinem Bett haben …

Kanntest Du andere Zwillingseltern?

Ja, man hat sich zwangsläufig kennen gelernt, wenn man in München in den Isarauen spazieren ging. Meist winkte man nur müde ab, wenn man sich begegnete …

Als unsere Zwillinge 1,5 Jahre alt waren, fing ich an, in einem dortigen Mütterzentrum Treffen für Zwillingseltern zu organisieren. Diese stießen auf großen Zuspruch – spezielle Treffen für Zwillingseltern kannte man damals nicht. Später haben mein Mann und ich regelmäßig Basare veranstaltet. Dieses Engagement stellten wir ein, als andere Zwillingseltern ihre Verpflegung selbst mitbrachten und es schwieriger wurde, diese Treffen zu organisieren. Dank einer bescheidenen Kaffee- und Kuchentheke hatten wir die Räumlichkeiten bezahlen können.

Es gab aber recht bald andere Basare und Treffen, mit denen wir nichts mehr zu tun hatten. Man wächst ja auch irgendwie raus auf dem Thema.

Was hat Dir die Erfahrung aus 30 Jahren Zwillinge gezeigt?

Für mich persönlich war die Tatsache, Zwillinge zu bekommen, nur ein kleiner Schock. Ich fand es eher lustig und stellte mich der Situation. Da ich ein sehr kreativer Mensch bin, fiel mir auch recht bald ein, wie ich die Situation nutzen könnte. Ich lernte das amerikanische Twins Magazine kennen und beschloss, etwas ähnliches in Deutschland herauszubringen.

Ich war ja Journalistin und als ich nach 2 Jahren Pause wieder halbtags bei einem Wirtschaftsmagazin einstieg, wo ich gearbeitet hatte, wurde ich übelst gemobbt. Mich setzten sie in ein Zimmer ohne Schreibmaschine (damals arbeitete man noch nicht mit dem Computer), aber mit 300 Rollen Klopapier (was heute sicher angesichts der Corona-Hamsterkäufe sehr von Vorteil wäre). Sie klemmten mein Telefon ab, das Hauptarbeitsmittel eines jeden Journalisten und diskutierten bei Meetings, wenn ich nicht anwesend war, offen meinen Rausschmiss.

Meine Zeitschrift ZWILLINGE hat mich dann 32 lang begleitet. Und ich habe festgestellt, es hat sich wenig verändert in diesen über 30 Jahren. Die medizinische Versorgung ist vielleicht besser geworden, so dass drohende Frühgeburten besser behandelt werden können. Auch überleben kleine Frühchen eher, das mag sein. Aber die Anforderungen an die Eltern sind fast gleich geblieben. Die durchwachten Nächte, der Stress tagsüber – da nützt es auch nichts, wenn heutige Zwillingswagen geländegängiger sind … schieben muss man sie ja trotzdem selbst.

Die finanzielle Situation ist vielleicht besser geworden. Allerdings wuchsen meine Zwillinge in einer Zeit auf, da war es noch gar nicht nötig, dass die Mutter auch arbeiten ging. Damit will ich sagen, was nützt das schöne Elterngeld, wenn rundherum alles teurer geworden ist und natürlich auch die Ansprüche gestiegen sind, so dass auch Zwillingsmütter schon früh wieder an den Arbeitsplatz zurückkehren müssen? Keine Frage, viele Mütter wollen das auch. Aber den Zwang, arbeiten und so zum Familieneinkommen beitragen zu müssen, hatten wir wohl vor 36 Jahren nicht so stark.

Ich persönlich wollte arbeiten. Und die Selbständigkeit nach der Geburt meines dritten Sohnes hat mir die Vereinbarkeit von Kindererziehung und Beruf möglich gemacht. Ich kann sagen, meine Zwillinge und die Idee, eine Zeitschrift für Zwillingseltern und viele Bücher zum Thema Zwillinge zu machen, war das Beste, was mir passieren konnte …

Was möchtest Du (werdenden) Zwillingseltern gerne bestärkendes mit auf den Weg geben?

Was kann ich Euch auf den Weg geben? Habt Zuversicht, glaubt an Euch. Organisiert Euch gut. Gute Organisation (fängt schon mit einer guten Wohnsituation an – nicht 4. Stock ohne Fahrstuhl wie bei mir), tatkräftige Hilfe (meine Mutter kam jeden Mittwoch, so dass ich nach 1 Jahr wieder einen Tag pro Woche arbeiten konnte) und eine gute Verteilung der Aufgaben, was Euch als Paar anbelangt (bei uns hatte jeder „seinen eigenen Zwilling“) helfen in den stressigen Anfangsjahren.

Wichtig ist auch der Kontakt zu anderen Zwillingseltern. Das ist heute einfacher geworden dank Internet. Aber ich persönlich schätze eher die echten Kontakte – draußen am Spielplatz, beim täglichen Spaziergang, in einer Spielgruppe, auf einem Zwillingstreffen. Im Internet – fällt mir auf – sind leider schnell auch persönliche Beleidigungen bei der Hand und man gibt natürlich auch einfach zu viel von sich und seiner familiären Situation preis.

Wie die Zwillinge miteinander umgehen, wie sie sich entdecken, wie sie mit einander spielen (und auch einmal streiten), welches tolle Verhältnis viele Zwillinge zueinander haben, all das entschädigt für die Mühen und den Stress.

Zwillinge sind toll. Das sage ich aus eigener Erfahrung und auch, weil ich so viele Geschichten anderer Zwillingseltern kennen gelernt habe. Für mich waren Zwillinge eine wunderbare Erfahrung. Und auch wenn ich in düsteren Stunden verflucht habe, dass ausgerechnet mir das passiert war, ich möchte keine Sekunde aus meinem Leben als Zwillingsmutter missen.

Liebe Marion, herzlichen Dank, dass Du uns, in unserem Rückblick in die 80ger: Zwillingsgeburt 1984, Einblick in Deine Erfahrungen und Erlebnisse, gegeben hast! Du hast vielen Zwillingseltern in den letzten Jahrzehnten durch Deine Arbeit den Weg geebnet und dafür sagen wir einfach einmal DANKE!

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