Helene (Name von der Redaktion geändert) ist Mama von Zwillingsmädchen und merkt früh, dass eine Einschulung für die Zwillinge anhand des offiziellen Stichtages nicht für sie in Frage kommen würde. Wir haben mit ihr über ihre persönlichen Erfahrungen und den Ablauf der Zurückstellung der Zwillinge gesprochen.
Liebe Helene, wann gab es die ersten Überlegungen, die Zwillinge möglicherweise ein Jahr zurückstellen zu lassen?
Als die Kinder ca. vier Jahre waren wurde es konkret. Für mich war aber schon recht früh klar, dass ich nach dem eigentlichen Entbindungstermin der Kinder handeln werde und der war deutlich hinter dem Stichtag für den Schuleintritt in NRW.
Welche Anzeichen gab es für Dich/Euch, das die Zwillinge möglicherweise noch mehr Zeit in der Kita brauchen bzw. möglicherweise noch nicht bereit für den Übertritt in die Schule sind?
Richtig deutlich auch für den Papa der Kinder wurde es ein Jahr vor der „eigentlichen“ Einschulung, sie zeigten noch sehr impulsives Verhalten, wenig Eigenkontrolle, eine geringe Konzentrationsspanne unter zehn Minuten, sprunghaftes Verhalten beim Spielen (100 Spiele gleichzeitig und sich für keins festlegen können).
Wie haben Deine Zwillinge auf diese Idee reagiert?
Ich behaupte einfach mal dass sie kognitiv noch nicht so weit waren die Tragweite dieses Entscheidungsprozesses zu fassen. Ich habe ihnen gesagt, dass wir dies für richtig halten und deswegen jetzt leider ein paar Termine mit Untersuchungen auf uns zu kommen.
Welche Stellen musstest Du im Anschluss anlaufen, um den Zurückstellungsprozess in Gang zu bringen?
- Eine Kinderpsychologin, die uns aber mehr geschadet hat als zu helfen.
- Das ansässige Sozialpädiatrische Zentrum (SPZ). Hier sind lange Wartezeiten bis zu 6 bis 8 Monate einzuplanen. Dadurch dass ich mehr oder weniger kurzfristig frei bekommen habe, konnte ich kurzfristig Termine erhalten und an diesen mit beiden Kindern inkl. Abschlussgespräch teilnehmen. Hier wurden die Kinder unter ganz anderen Aspekten gesehen als bei der Psychologin. Im Abschlussgespräch sagte die Oberärztin, dass sie meine/unsere Entscheidung die Kinder zurückzustellen zu 100% mitträgt und ich mich bei Problemen gerne wieder an sie wenden kann. Bei Frühchen oder überhaupt bei Kindern sollte, laut dem lokalen SPZ, immer nach dem eigentlichen Entbindungstermin gegangen werden, denn der steht ja nachweislich im Mutterpass.
- Entwicklungsberichte vom Kindergarten, wo klar hervorgeht, dass die Kinder die „Defizite“ (so ein schlimmes Wort in der Bewertung von Kindern) in dem Jahr aufholen werden.
- Bericht vom Kinderarzt, der auch die Zurückstellung befürwortet.
Was hat die Schuluntersuchung ergeben?
Die Schuluntersuchung ist meiner Meinung eine weitere Untersuchung wie beim Kinderarzt. Nichts Außergewöhnliches und nichts was Rückschlüsse auf die Schulfähigkeit zulässt. In diesem Rahmen können jedoch auch Schwächen im Hören und Sehen aufgedeckt werden (was meiner Meinung nach trotzdem erschreckend wäre, wenn es erst zu diesem Zeitpunkt auffällt). Die Amtsärztin bewertete mich als Helikopter Mutter und äußerte, dass ich meine Kinder einfach auch mal loslassen müsste, und dass auch eine Wiederholung der erste Klasse nichts mit den Kindern machen würde. Ich sagte ihr, dass sie bitte die grenzüberschreitende Bewertung unterlassen soll und nicht ich hier zur Untersuchung bin. Des Weiteren machte ich sie darauf aufmerksam, dass eine Wiederholung der Klassen in einer neuen und fremden Klasse sehr wohl etwas mit den Kindern macht. Ihre letzte Frage war nur noch ob ich Widerspruch einlegen würde wenn sie die Zurückstellung der Zwillinge nicht bewilligen würde. Ich entgegnete, dass ich nicht umsonst alle Berichte mitgebracht hätte und sie meine Kinder nur zehn Minuten gesehen hat, da ihre Assistentin die anderen Untersuchungen durchgeführt hatte. Es sei eine Frechheit, dass sie sich überhaupt ein Urteil erlauben darf, und sie sich sicher sein kann das ich Widerspruch einlegen werde. Darauf sagt sie nur dass sie auf diesen Papierkram keine Lust hätte und ich wurde entlassen. Am anderen Tag war der positive Bescheid in Schriftform bei uns zuhause.
Welche Unterschiede haben sich innerhalb des Jahres bei Deinen Zwillingen im Rahmen der zwei Schuluntersuchungen gezeigt?
Welche zweite Untersuchung? Wir hatten nur die eine, keine weitere folgte. Auch daran erkennt man, dass diese Untersuchung einfach nichtssagend ist. Wir persönlich haben folgende Unterschiede bemerkt: die Kinder sind deutlich fokussierter und länger an einer Sache dran. Sie können ihre Bedürfnisse gut regulieren und sind selbstständiger.
Wie habt Ihr den Eintritt in die Schule nach der Zurückstellung der Zwillinge erlebt?
Die Kinder wirkten bereit und gut vorbereitet, sie sind aufgeregt aber nicht ängstlich in den neuen Lebensabschnitt getreten. Sie konnten sich gut trennen.
Wie sind Deine Kinder mit dem neuen Leben als Schulkind umgegangen?
Sie sind stolz auf sich dass sie jetzt Schulkinder sind: endlich den Tornister tragen, Buchstaben und Zahlen lernen. Trotz neuer Kinder und neuem Ablauf machen sie das hervorragend.
Welche Herausforderungen gibt und gab es?
Bei der Hausaufgabenbetreuung muss man sich am besten teilen können, hier muss jede Familie für sich einen Weg finden um jedem Kind gerecht zu werden. Gerade aber auch außerschulische Aktivitäten muss man gut planen. Hausaufgaben müssen dann vor- oder nachgearbeitet werden. Das kann für explosive Stimmung sorgen.
Deine Zwillinge wurden als Frühchen geboren, gibt es Anzeichen wie Konzentrations-, Lese-/ Rechtschreib- oder Matheschwäche?
Bis dato sehen wir das im normalen kindlichen Bereich des Auffassungsvermögens. Man sollte auch nicht vergessen: die Aufmerksamkeitsspanne eines Kindes im ersten Schuljahr beträgt max. 20 Minuten.
Erhalten die Kinder eine Förderung?
Nein, die Kinder erhalten momentan keine Förderung, aufgrund der Zurückstellung. Bei erkennbaren Schwächen, wäre es sicher sinnvoll professionelle Unterstützung zum Beispiel in Form von Ergotherapie etc. zu beanspruchen.
Was würdest Du anderen Eltern als Tipps für eine mögliche Zurückstellung der Zwillinge mit auf den Weg geben wollen?
- Ihr seid die Eltern, es sind eure Kinder ihr seid die Experten und Sprachrohr für eure Kinder, niemand kennt eure Kinder besser als ihr selbst.
- Wenn ihr auch nur den Hauch eines Zweifels habt dass euer Kind nicht bereit ist für die Schule – lasst es zurückstellen. Und nein, es langweilt sich nicht im Kindergarten, es gewinnt so viel was es später für die Schule benötigt, gerade auf der sozialen und emotionalen Ebene.
- Sprecht mit eurem Kindergarten wie die ErzieherInnen dies einschätzen (eventuell sind sie nicht happy darüber weil ein eigentlich geplanter Platz dann weiter belegt ist und eine Rückstellung mehr zusätzliche Arbeit durch das Schreiben eines ausführlichen Entwicklungsberichtes bedeutet).
- Habt die Interessen Eurer Kinder im Blick und lasst euch nicht abwimmeln.
Last, but not least gehen Deine Zwillinge in eine gemeinsame oder getrennte Klassen?
Die Kinder gehen zusammen in eine Klasse, sitzen aber nicht mehr zusammen – was durch die Lehrkraft geregelt wurde und so von den Kindern akzeptiert wurde.
Liebe Helene, wir danken Dir für Deine ehrliche Erfahrung, die sicher andere Elterrn bestärken kann, mit Blick auf die Kinder einen für sie passenden Weg zu gehen!
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